|
Im
Sperrgebiet des Herzens
Der Mann ist nicht mehr jung, sein Bart ist meliert, sein Gesicht ist blass, aber das kann auch am Licht liegen, das grau und leer die Stunde nicht verrät. Im Hintergrund des Bildes, denn noch ist das kein Ort, den sich der Betrachter erschließen kann, zieht sich eine Frau aus. Sie ist mehr eine Ahnung als eine Person, ihre Nacktheit ein Schleier über ihrer Anwesenheit. Sie könnte eine Frau aus einer Peep-Show sein, die durch Türen mit schmierigen Scheiben wahrgenommen wird. Sie könnte ein Bild sein, in einem Film, den sich der Mann aus großer Entfernung betrachtet. Schließlich erhebt er sich und geht zu ihr. Nun sieht man, es ist seine Wohnung, sein Bett, seine Geliebte. Die Distanz, die der Mann überwindet, ist gering, aber für ihn muss es eine weite Strecke sein. Die Kamera kann ihm nicht folgen, so wenig wie ein Film über die Melancholie die Melancholie erklären kann. Sobald der Mann bei seiner Geliebten ist, wird auch er undeutlich. Uzak - Weit heißt der dritte Spielfilm des türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan, der ihn endlich auch in Europa berühmt machen wird, sofern es sich eingestehen kann, dass der legitime Nachfolger Michelangelo Antonionis aus der Türkei kommt, dass er sich mit dem begnadeten griechischen Regisseur Theo Angelopoulos messen kann und das Erbe der Entfremdung ohne Nachhilfe der EU, ohne Beitrittserklärung, ohne Zuzugsgenehmigung antritt. Das Entferntsein von allen Dingen, die Zurückhaltung, mit der der Protagonist Mahmut noch seiner Geliebten begegnet, wird zum ästhetischen Programm eines Films, der daran festhält, seinen Figuren nicht näher kommen zu können als sie sich selbst. Die Menschen schweigen und sehen sich an, aber da ist nichts. Sie sehen aus dem Fenster, aber da ist nichts. Schnee verkleidet hässliche Industriegebiete. Istanbul wirkt verwaschen und verhärmt, das Meer spielt Norden und kühlt verlassene Molen ab. Junge Leute küssen sich auf die Wangen, wie überall auf der Welt, und bleiben dennoch scheu und vereinzelt. Sie könnten sich in einem Park in Paris befinden oder in einem Film von Truffaut. Sie könnten einander fremd bleiben wie die Paare aus den Filmen des taiwanesischen Regisseurs Tsai-ming liang, eines Bruders im Geist der Vergeblichkeit. Die Intimität des Fotografen Mahmut und seiner namenlosen Geliebten bleibt nicht nur gewahrt, weil es eine Beziehung im Verborgenen ist. Auch vor sich selbst versteckt Mahmut jede Bedeutung, die diese oder eine andere Frau haben könnte. Das einzige Wesen, dem er Aufmerksamkeit schenkt, ist die Maus in seiner riesigen Wohnung, eine Maus, die partout nicht auf den Klebestreifen treten will, den er für sie auf der Schwelle zur Küche angebracht hat. In diese geordneten Verhältnisse platzt der unbeholfene Yusuf, ein Verwandter aus Mahmuts Heimat. In Istanbul verspricht Yusuf sich Arbeit auf einem Schiff. Aus der Winterwoche, die er bleiben will, wird ein kalter Frühling. Der Mond ist eine Frostbeule auf der blau angelaufenen Haut des Himmels. Yusuf versucht sich anzupassen, doch für Mahmut ist er nichts als eine weitere Maus. Der junge Mann will die Welt sehen, die Mahmut als Werbefotograf bereist hat. Der Ältere winkt ab. Die Welt sagt er, sehe an jedem Ort gleich aus. Mahmuts Freunde klagen die Filme ein, die er machen wollte, Filme wie aus der Hand des russischen Regisseurs Andrej Tarkowskij. Sie sprechen von verratenen Idealen. Mahmut sieht seine Freunde möglichst selten. Yusufs unbedarfte Lebensäußerungen reizen den desillusionierten Griesgram zum Äußersten. Nicht, dass er darüber redet, aber heimlich sprüht er ein Desinfektionsmittel in Yusufs Schuhe. Eine lebensfeindliche Ordnung hält Mahmuts Dasein zusammen, jede Falte, jede Geste, jeder Überschuss, sei es Müll oder Weltschmerz, werden umgehend geglättet und entsorgt. Yusufs Pascha-Allüren sind nicht sympathischer: Als Mahmut zu seiner Mutter ans Krankenbett reist, überzieht Yusuf die Wohnung des reichen Verwandten mit Existenzbeweisen aus dem Hinterland einer auf Frauenarbeit beruhenden Erziehung: Asche, Essensreste und nicht runtergespülte Fäkalien ringen dem zurückkehrenden Mahmut endlich eine Reaktion ab. Nicht lange danach wird er den einfältigen Jungen indirekt des Diebstahls bezichtigen, und es wird zum Bruch kommen. Im Haus seiner Schwester hat Mahmut gefühlt, was es heißt, ein unliebsamer Besucher zu sein. Eine Lehre zieht er daraus so wenig wie aus den Tarkowskij-Filmen, die er bevorzugt, vielleicht, um Yusuf einzuschläfern und danach ungestört Pornos frönen zu können. Lange sieht man einen Ausschnitt aus Tarkowskijs Film Stalker, Männer, die mit dem Stalker, dem Fährtenleser der Spiritualität, durch ein Sperrgebiet reisen, auf der Suche nach der Zone des Films, in dem die Wünsche wahr werden, sofern man nur den Mut hat, das Zimmer der Erfüllung zu betreten. Bei Tarkowskij kehren die Suchenden unverrichteterwünsche zurück. "Was für Menschen", sagt der Stalker, "ihre Augen sind leer." In Uzak ist die Zone die Kunst selbst und der Wünschende ein Künstler. Der Fotograf, der in der Unbeholfenheit des Arbeit suchenden Provinzlers sein eigenes Scheitern wiedererkennt, bleibt allein zurück. Sogar die Maus ist am Ende tot. Mahmut ist von der Kunst so weit entfernt wie von seinen Gefühlen. Aber es ist eine hohe Kunst, wie Ceylan ihm auch als Kameramann seines erdrückend schönen Films ins Sperrgebiet des Herzens folgt, wie er seine Hauptfigur pedantisch und verloren, arrogant und unvermutet groß in der Trauer über das Unerreichbare sein lässt, wie alles sich fügt zu einer grenzüberschreitenden Schwermut.
|