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Schiffe in der Ferne
«Uzak» von Nuri Bilge Ceylan

Andreas Maurer, NZZ Online (Switzerland), 5 Dezember 2003


Schneidend pfeift der Wind; irgendwo kräht ein Hahn; und allmählich hört man den Schnee knirschen - aus dem tiefen Hintergrund stapft eine Gestalt daher, langsam, langsam der festgefrorenen Kamera entgegen: Yusuf (Mehmet Emin Toprak), der seine sieben Sachen (oder sind es weniger?) geschultert und die Dorfenge hinter sich gelassen hat, um in der Stadt sein Glück zu versuchen, Istanbul. Hier nistet er sich, «vorübergehend bloss», bei seinem Cousin ein: Mahmut (Muzaffer Özdemir), ein Fotograf und Yusufs zwanzig Jahre älteres Gegenbild - verbürgerlicht, arriviert, desillusioniert. All dies wird der Zuschauer aus kunstvoll-kargen Momentaufnahmen erschliessen, in denen die Lebenskrise eines (Selbst-)Entfremdeten die wirtschaftliche und kulturelle Krise eines Landes reflektiert. Vermag die Hoffnung zu überwintern?

Träume wärmen. Yusuf will auf einem Schiff anheuern, die «weite Welt sehen». - «Doch wirst du die Einsamkeit ertragen können?», fragt Mahmut, seinem Gast - ein Verwandter immerhin - grummelnd hinterherputzend. Beide driften sie dahin: der eine in 50 Fernsehkanälen, im Meer des Internets oder in seinem Smart; der andere zu Fuss und auf Pump, denn noch bei Schneeschmelze ist auf Istanbuls Strassen keine Arbeit zu finden. Kähne verrosten in den Docks. Während die grauen, verkniffenen Figuren sich anschweigen, zu Boden starren, einander wie auch uns den Rücken zukehren und jäh aus dem Bild weichen. Der Blick des Autor-Kameramann- Regisseurs Nuri Bilge Ceylan, offensichtlich geschult an den Anomie-Ästheten Antonioni und Kiarostami, verharrt «uzak», in der Distanz.

Nähe, Mahmut kauft sie, Yusuf klaut sie. Verzweifelt streift er den Piers entlang, durch Pärke und Kinos, um endlich im Tram, für einige Sekunden wenigstens, seine Hand auf das Knie einer Fremden zu legen. Mahmut dagegen, geschieden, kinderlos, mit einer Prostituierten-Geliebten: Einst wollte er Kinopoeme schaffen wie Tarkowski; heute schaut er sich diese allenfalls an in der Absicht, Yusuf abzuwimmeln, dann schiebt er ein Pornovideo ein. Die Szenen der Zwangs- WG - gedreht in der unveränderten Wohnung des designierten Regiestars Ceylan - sind eingefasst mit grimmigem Humor. Bis der Konflikt durchbricht.

Ceylan scheint an die stete Möglichkeit einer spirituellen Erleuchtung zu glauben. Nicht jedoch an die Bereitschaft der Menschen. Aus heiterem Himmel taucht er seine Protagonisten, die in den Bergen fotografieren, in goldenes Licht (Yusuf, verkörpert von Ceylans vor einem Jahr tödlich verunglücktem Cousin, wird später davon träumen). Rasch, die Ausrüstung aufbauen - «Wozu die Mühe?», findet Mahmut, «scheiss drauf.» Also blicken die beiden immer wieder in die Ferne, aus dem Fenster neben dem weich klirrenden Windspiel, am Ufer. Draussen auf dem Bosporus treiben die Schiffe mit dem Leben vorbei.

«Uzak» läuft ab nächstem Donnerstag im Kino Riffraff in Zürich.