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"Uzak" von Nuri Bilge Ceylan ist
das berührende Porträt zweier "gescheiterter" Existenzen im
winterlich verschneiten Istanbul, getragen von der Intensität des Unausgesprochenen
und der Menschlichkeit seiner Hauptdarsteller.
In Mahmut's Leben klafft eine große
Lücke zwischen den Idealen von Einst und seinem jetzigen trostlosen Leben.
Er, der früher einmal ein ambitionierter Reportage-Fotograf war, verdient
seinen Lebensunterhalt mit dem Ablichten von Kacheln für Werbekataloge.
Seine Ehe ist geschieden und so schlägt Mahmut den Großteil seiner Zeit
vor dem Fernseher tot.
Unerwarteter Besuch
Eines Tages muss er Yusuf bei sich aufnehmen, ein Mitglied seiner Familie,
die auch Mahmut einst in der entlegenen Provinz verlassen hatte. Der junge
Mann, der seine Arbeit in einer Fabrik verloren hat, will auf einem Schiff
anheuern.
Mahmut: Entschuldigung. Ich hatte ganz vergessen, dass du heute kommen
wolltest.
Yusuf: Machts nichts. Kein Problem.
Mahmut: Was gibt's Neues bei uns?
Yusuf: Alles wie immer.
Mahmut: Arbeitest du immer noch in der Fabrik?
Yusuf: Die hat zugemacht. Wegen der Krise. Zuerst haben sie meinen Vater
entlassen, dann mich.
Mahmut: Wie viele haben denn ihre Arbeit verloren?
Yusuf: Ungefähr 1000.
Mahmut: So viel wie die Einwohner einer Stadt.
Yusuf: Stimmt.
Mahmut: Und was wirst du auf dem Schiff machen?
Yusuf: Bootsmaat oder Steward. Ich mach alles was sie haben. Matrosen
verdienen gut. In Dollar. Du siehst was von der Welt. Und auf See gibt's
keine Wirtschaftskrisen.
Minutenlang zeigt uns Nuri Bilge Ceylan seinen wortkargen, in die Rituale
seiner Einsamkeit versponnenen Protagonisten, der sich in seiner mit allen
Insignien eines intellektuellen Komforthaushalts ausgestatteten Wohnung
zurückgezogen hat. Die Dauerberieselung aus dem Mega-Fernseher, die gelegentlichen
Besuche einer Mätresse und die zwanghaften Ordnungsrituale künden von
einem Mann in einer existentiellen Krise, dem seine Ideale abhanden gekommen
sind.
Trakikomische Zwischentöne
Dass es sich bei Mahmut um das Alter Ego des Regisseurs handeln könnte,
darauf verweist der Umstand, dass Ceylan seinen Protagonisten in der eigenen
Wohnung leben lässt und die eigene Mutter und Ehefrau Mahmuts Mutter und
geschiedene Ex-Frau spielen. Bei aller Tristesse kann Ceylan diesem deprimierenden
Zustand, der immer etwas mit Selbstmitleid und Verklärung der Vergangenheit
zu tun hat, auch tragikomische Zwischentöne abgewinnen. Yusuf, der unerwartete
Besucher, stört, wenn Mahmut nachts die Pornokassette dem Tarkowski-Video
vorzieht und er stört, weil er das Licht anlässt und Mahmut dazu bringt,
sich in der eigenen klebrigen Mausefalle zu verfangen.
Aber dennoch führt die Zweisamkeit der beiden einsamen Männer bei Ceylan
zu keiner wirklichen Annäherung. Zu unterschiedlich ist ihrer beider Leben
verlaufen, zu sehr hängen die beiden Männer ihren Erinnerungen und Obsessionen
nach. Yusuf muss erkennen, dass sein Traum, zur See zu fahren, eine Luftblase
ist. Auch seine Sehnsucht nach einer Frau erfüllt sich nicht. Im winterlich
verschneiten Istanbul fängt Ceylan diese Melancholie in großartigen, stahlblauen
Bildern ein.
Nachhallendes Meisterwerk
Die kleinen Szenen, Gesten und Blicke, die Ceylan für die Gefangenheit
seiner Protagonisten finden, sind es, die diesen leisen Film in der Tradition
von Ozu, Kiarostami und Tarkowski zum ersten, noch lange nachhallenden
Meisterwerk dieser Filmfestspiele machen.
arte meint: vier von maximal vier
Sternen
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